Kann ein Unterhaltsanspruch auch verwirken?

Ja, dies gilt sowohl für den Kindesunterhalt, den Elternunterhalt und auch für den Ehegattenunterhalt.


Wann ist ein Anspruch auf Kindesunterhalt verwirkt?

Das Gesetz sagt hierzu in § 1611 BGB: Ist der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden, hat er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht, so braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht. Die Verpflichtung fällt ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.

 

Eine Verwirkung des Kindesunterhaltes kommt aber nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht.


Wann ist ein Ehegattenunterhaltsanspruch verwirkt?

Ein Ehegattenunterhaltsanspruch ist gemäß § 1579 BGB zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege und Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes grob unbillig wäre. Im Gesetz – genauer gesagt im § 1579 BGB – sind diverse Härtegründe aufgeführt, die zu einer Verwirkung führen. Die Verwirkungstatbestände sind über § 1361 Abs. 3 BGB auf den Trennungsunterhalt entsprechend anzuwenden mit Ausnahme des § 1579 Nr. 1 BGB.

 

Unterhaltszahlungen sind grob unbillig, wenn zwischen dem Verhalten, das den Verwirkungsgrund bildet, und der ehelichen Solidarität und Loyalität, die Grundlage des Unterhaltsanspruchs sind, ein so krasses Missverhältnis besteht, dass die weitere Zahlung von Unterhalt unzumutbar erscheint. Bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung sind die wirtschaftlichen und die persönlichen Verhältnisse sowie die aktuelle Lebenssituation der Beteiligten zu berücksichtigen; die Schwere des Verwirkungsgrundes, die Auswirkungen der die Verwirkung auslösenden Handlung für den Verpflichteten, aber auch die Dauer der Ehe und die Ehebedingtheit der Bedürftigkeit.

 

Die in § 1579 BGB niedergelegten Verwirkungsgründe lauten:

 

 

Nr. 1: Kurze Ehedauer

Von einer kurzen Ehedauer ist in der Regel dann auszugehen, wenn die Ehe zwischen der standesamtlichen Eheschließung und der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages nicht mehr als zwei Jahre gedauert hat. Bei einem Zeitraum von 2 bis 5 Jahren Ehedauer kann immer noch eine kurze Ehe in Betracht kommen, hier sind aber die durch die Ehe bewirkten Veränderungen in den Lebensumständen der Ehegatten zu berücksichtigen.

 

Die Zeiten der Kinderbetreuung sind nicht der Ehezeit hinzuzurechnen, sondern nur noch im Rahmen der Billigkeitsabwägung zu berücksichtigen.

 

 

Nr. 2: Verfestigte Lebensgemeinschaft

Dieser Härtegrund wurde durch das Änderungsgesetz zum 1.1.2008 neu in die Liste der Härtegründe aufgenommen, vorher war dieser Härtegrund unter die damalige Nr. 7 des § 1579 BGB a. F. subsumiert worden. Da der Gesetzgeber mit diesem neu geschaffenen Härtegrund keine Veränderung der bestehenden Rechtsprechung erreichen wollte, kann die frühere Rechtsprechung der Gerichte weiter herangezogen werden.

 

Das Gesetz selbst gibt keine Definition vor, was unter einer verfestigten Lebensgemeinschaft zu verstehen ist. Die Rechtsprechung sieht eine verfestigte Lebensgemeinschaft (früher: eheähnliche Lebensgemeinschaft) in der Regel als gegeben an, wenn objektive nach außen tretende Umstände, wie etwa

  • ein über einen längeren Zeitraum gemeinsam geführter Haushalt,
  •  das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit,
  • größere gemeinsame Investitionen wie der gemeinschaftliche Erwerb einer Immobilie oder
  • die Dauer der Verbindung

einen entsprechenden Rückschluss zulassen.

 

Eine verfestigte Lebensgemeinschaft setzt nach der Rechtsprechung in der Regel einen Zeitraum von mindestens 2 bis 3 Jahren voraus, sofern keine anderen objektiven Kriterien wie insbesondere der gemeinschaftliche Erwerb einer Immobilie oder die Geburt eines gemeinschaftlichen Kindes bereits früher auf eine Verfestigung der Lebensgemeinschaft schließen lassen.

 

Für die Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft ist es nicht zwingend Voraussetzung, dass die Beteiligten in einer gemeinsamen Wohnung leben. Fehlt es allerdings an diesem Umstand, dann kommt es für die Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft umso mehr auf die Erkennbarkeit der Beziehung in der Öffentlichkeit an. Entscheidend ist dann vor allem der Freizeitbereich: Besuchen die Partner gemeinsam Feste, treten sie insbesondere bei Familienfeierlichkeiten gemeinsam auf? Treiben die Partner gemeinsam Sport? Fahren Sie gemeinsam in den Urlaub? Wie werden die Urlaubsreisen finanziert? Benutzen die Partner wechselseitig ihre Fahrzeuge? Werden die Kinder aus der geschiedenen Ehe in die Unternehmungen der neuen Partner eingebunden? Gehen Nachbarn, Freunde, Bekannte und Verwandte der Partner davon aus, dass die beiden als Paar auftreten?

 

Besonders problematisch kann es werden, wenn die neuen Partner keine gemeinsame Wohnung haben und sich darauf berufen, sie hätten ihre Beziehung bewusst auf Distanz angelegt; beispielsweise, weil sie ein engeres Zusammenleben aufgrund negativer Partnerschaftserfahrungen nicht wünschen. Eine derartige subjektiv in Anspruch genommene Distanz zu dem neuen Partner, die in der tatsächlichen Lebensgestaltung nicht zum Ausdruck kommt, kann aber nach Auffassung der Rechtsprechung keine Berücksichtigung finden.

 

Die Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft scheitert nicht daran, dass es sich bei den neuen Partnern um eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft handelt. Andererseits ist allein der Umstand, dass der geschiedene Ehegatte sich einem gleichgeschlechtlichen Partner zuwendet, als solches kein Grund für die Annahme einer Verwirkung des nachehelichen Unterhalts.

 

Weitere Kriterien, wie etwa die Leistungsfähigkeit des neuen Partners, spielen im Rahmen des § 1579 Nr. 2 BGB keine Rolle.

 

 

Nr. 3: Verbrechen oder schwere vorsätzliche Vergehen gegen den Verpflichteten

Hier muss es sich um gravierende Straftaten handeln; vorausgesetzt wird ein schuldhaftes Verhalten des Unterhaltsberechtigten. In der Vergangenheit hat die Rechtsprechung eine Verwirkung angenommen bei einer gefährlichen Körperverletzung, bei schweren Verleumdungen des Unterhaltsschuldners, der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Zusammenhang mit der Zahlung eines Prozesskostenvorschusses oder bei Vermögensdelikten gegen den Unterhaltsschuldner.

 

Häufig kommt es in der Praxis auch im Rahmen von Unterhaltsverfahren zu einem vollendeten oder versuchten Prozessbetrug des Berechtigten, beispielsweise weil er seine Einkünfte ganz oder teilweise verschweigt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um Einkünfte aus überobligatorischer Tätigkeit handelt, denn letztlich ist es der Beurteilung des Tatrichters überlassen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang derartige Einkünfte bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen sind. Der Versuch eines Prozessbetrugs beginnt bereits mit der Einreichung eines Schriftsatzes bei Gericht, der bewusst falsche Aussagen enthält oder für die Unterhaltsberechnung notwendigen Angaben, wie zum Beispiel eine Einkommenserhöhung, verschweigt.

 

Vor dem Hintergrund, dass nur schwere vorsätzliche Vergehen die Verwirkung des Unterhalts rechtfertigen, ist in diesem Zusammenhang auch zu prüfen, wie hart das Verschweigen der Einkünfte den Unterhaltsschuldner trifft bzw. getroffen hat.

 

 

Nr. 4: Verwirkung wegen mutwilliger Herbeiführung der Bedürftigkeit

Mutwilligkeit liegt immer dann vor, wenn der Berechtigte seine Bedürftigkeit vorsätzlich oder zumindest leichtfertig herbeigeführt hat; normale Fahrlässigkeit reicht nicht aus. Das zur Bedürftigkeit führende Verhalten muss zudem unterhaltsbezogen sein. Unterhaltsbezogen ist das Verhalten des Verpflichteten jedenfalls dann, wenn er die Möglichkeit des Eintritts der Bedürftigkeit als Folge seines Handelns erkennen kann und sich gleichwohl nicht gegen dieses Handeln entscheidet.

 

In der Praxis werden hier häufig Suchterkrankungen eine Rolle spielen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade bei Suchtkranken die Möglichkeit der Einsicht gemindert, wenn nicht gar ausgeschlossen ist. Aufgrund dessen ist in der Vielzahl dieser Fälle nicht die Möglichkeit gegeben, eine Verwirkung des Unterhalts zu erreichen.

 

Andere Fälle der mutwillig herbeigeführten Bedürftigkeit sind beispielsweise die zweckwidrige Verwendung von Vorsorgeunterhalt, die Nichtgeltendmachung aussichtsreicher Rentenansprüche, eine leichtfertig verursachte Kündigung der Arbeitsstelle oder auch die Nichtverwertung einer Immobilie.

 

 

Nr. 5: Verwirkung wegen Gefährdung der Vermögensinteressen des Verpflichteten

Setzt sich der Berechtigte über schwerwiegende Vermögensinteressen des Verpflichteten mutwillig hinweg, kann dies zu einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führen. Es reicht eine Gefährdung des Vermögens des Verpflichteten, eine konkret eingetretene Schädigung ist nicht erforderlich.

 

Hierher gehören insbesondere die Fälle, in denen der Berechtigte den Verpflichteten bei dessen Arbeitgeber anschwärzt und dabei in Kauf nimmt, dass der Berechtigte seinen Arbeitsplatz verliert, wissentlich falsche oder leichtfertige Strafanzeigen, zum Beispiel wegen Pflichtverletzung oder sexuellen Missbrauchs, schaltet.

 

 

Nr. 6: Verletzung der Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen

Hat der berechtigte Ehegatte längere Zeit vor der Trennung seiner Pflicht zum Familienunterhalt gröblich verletzt, kann dies die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach sich ziehen. Diese Vorschrift spielt in der Praxis keine allzu große Rolle.

 

 

Nr. 7: Verwirkung wegen schwerwiegendem einseitigem Fehlverhalten

Anwendungsfall der Nr. 7 sind die Verstöße gegen die eheliche Treuepflicht. Danach kann ein schwer wiegendes Fehlverhalten darin liegen, dass der berechtigte Ehegatte sich gegen den Willen des anderen Ehegatten von der Ehe abwendet und eine länger andauerndes intimes Verhältnis zu einem neuen Partner aufnimmt (wobei es unerheblich ist, ob es sich dabei um ein homo- oder heterosexuelles Verhältnis handelt) oder dass der berechtigte Ehegatte intime Beziehungen mit wechselnden Partnern aufnimmt.

 

Es muss sich immer um ein einseitiges Fehlverhalten des berechtigten Ehegatten handeln – hat beispielsweise der Verpflichtete selbst mehrfach Ehebruch begangen, stellt dies die Einseitigkeit ernsthaft infrage.

 

Andere schwerwiegende Gründe können beispielsweise das Unterschieben eines außerehelich gezeugten Kindes, ein Rachefeldzug des Berechtigten gegen den Verpflichteten oder auch die fortgesetzte, massive schuldhafte Vereitelung des Umgangsrechts sein.

 

 

Nr. 8: Verwirkung wegen eines anderen schwerwiegenden Grundes

Dieser Auffangtatbestand soll andere Fälle subjektiver und objektiver Unzumutbarkeit erfassen, wenn sie von gleichem Gewicht sind, wie das Fehlverhalten in Nrn. 2 bis 7, so dass diesen Tatbeständen eine exemplarische Funktion zukommt. Eine Einengung auf allein objektiv unzumutbare Sachverhalte lässt sich nicht daraus herleiten, dass schuldhaftes Verhalten in den Härtegründen Nr. 3 bis 7 umschrieben ist. Der Auffangcharakter spricht dafür, alle in diesen Härtegründen nicht erfassten aber gleichgewichtigen Umstände einzubeziehen.